Geschichte
Das inneralpine Tal Unterengadin ist seit der frühen Bronzezeit (um 2000 v. Chr.) geprägt vom Bauerntum, dessen Arbeit und deren Lebensformen. Lange Zeit prägten wogende Kornfelder die terrassierte Landschaft, um die Selbstversorgung der Bevölkerung und seiner Viehhabe zu sichern. An den Bergbächen standen zahlreiche Gersten- und Dinkelstampfen und die Mühlen. Vom Spätherbst bis in den Winter hinein und im Frühjahr erwachten sie zum Leben. Dann herrschte emsiges Treiben, meistens Tag und Nacht verbrachten die Müller in ihren Mühlen, um das von den Bauern angelieferte Getreide zu vermahlen. Heute zeigen nur noch Geschichte, Bilder und antiquarische Geräte stumm an unzähligen Orten die früher harten und kargen Lebensbedingungen auf.
In Ftan, das auf 1650 MüM auf einem sonnigen Plateau liegt, rattert und knattert die alte Mühle immer noch, als wäre die Zeit stillgestanden. Von Generationen geprägt und gehegt, steht dieser imposante Zeitzeuge am westlichen Dorfrand. Das Mühlegebäude mit der über 400 Jahre alten Rölle-/Mühle hatte 1831 Besitzer gewechselt. Der gelernte Mühlebauer und Müller Jakob Florineth aus Planail, damals noch zu Oesterreich gehörend, kam 1826 als Müller nach Ftan und war 5 Jahre für die damalige Besitzerin, Uorschla Caprez, in der Mühle tätig. 1831 erwarb er die Mühle für 300 Gulden. Sein Lebenswerk, die zweite sich im Gebäude befindende Mühle, baute er zwischen 1832 und 1835. Er war ein fundierter Kenner der Mühlenkonstruktion. Schmied und Wagner leisteten zusätzlich wertvollste Handarbeit. Florineth kannte sich mit den verschiedensten Holzarten aus, benutzt für jede Beanspruchung das passende Holz wie z.B. Pockholz (Guajacum officinale, ein sehr hartes holz aus dem (sub-)tropischen Amerika), Weissdorn (Crataegus), Kirschbaum (Prunus avium), Birke (Betula pendula), Lärche (Larix decidua) usw. Die Widerstandfähigkeit der verschiedenen Hölzer wurde damals durch Tauchbäder in siedendem Öl erhöht.
in der 1. Hälfte des 19. Jh. knatterten und ratterten allein in Ftan acht Mühlen und Gerstenstampfen, notwendig um das Getreide, dass auf den terrassierten Äckern rund um Ftan angebaut wurde zu vermahlen und damit die Selbstversorgung der Bevölkerung zu sichern. Die heute noch erhaltene Mühle verdanken wir den nachfolgenden Generationen der Familie Florineth, die bis 1998 Getreideernten aus dem Unterengadin verarbeitet und ihr Wissen bis heute überliefert hat.1870 übernahm Johann die Mühlen seines Vaters Jakob. 1885/86 wurde durch Johann Florineth eine bescheidene Unterkunft an das Mühlegebäude angebaut. Diese wurde 1902 zum heutigen Wohnhaus aufgestockt. 1915 setzte Päter das Handwerk seines Vaters Johann fort, und ab 1950 trat Domenic ("Nic") Florineth die traditionsbewusst die Nachfolge seines Vaters Päter an.
Die Modernisierung der Landwirtschaft, die Mechanisierung und die neuen Lebensformen verdrängten nach dem 2. Weltkrieg den Ackerbau aus den Bergtälern. Die Mühlen standen nach und nach still, die Gebäude verfielen. 1972 waren in Ftan alle anderen Mühle schon verschwunden. Auch für diese letzte Mühle gibt es kein Auskommen mehr, sie droht zu verfallen und wie die anderen in Vergessenheit zu geraten. Nic Florinteh als letzter Müller bangte um die Zukunft seiner Mühle und entscheidet 1970, die Mühle aus den Händen zu geben und dem SHS (Schweizer Heimatschutz) in Obhut zu geben. Dank dieser Regelung wurde die Mühle durch den SHS mit Unterstützung einer schweizweiten Spendenaktion, auch unter Einbezug der Fernsehsendungen „Grüezi miteinander“ und „Chumm und lueg“ vor dem Verfall gerettet. Eine umfangreiche Sanierung des Gebäudes durch den Schweizer Heimatschutz rettete die Mühle vor dem Verfall und sicherte die Aufrechterhaltung des Betriebs in Kombination mit dem Zugang für die Öffentlichkeit.
Die Tochter von Nic Florineth, Cilgia Florineth, setzte sich dafür ein, das im Vertrag mit dem SHS geregelte lebenslange Wohnrecht für ihre betagten Eltern zu sichern. Gleichzeitig war sie die geeignete Nachfolgerin, um die Mühle traditionsbewusst und auf herkömmliche Art weiterzuführen und das Wohnrecht zu behalten. Nachdem 1998 die Kundenmüllerei eingestellt wurde, konnte so der Betrieb für Besucher durch Cilgia Florineth (in 5. Generation!) sichergestellt werden. Sie vermittelt interessierten Besuchern Geschichte sowie fachkundiges Wissen über das technische Meisterwerk und über die frühere Müllerei (Kontakt). So ist heute die Ftaner Mühle ein von Generationen geprägtes Erbe und ein letzter Zeuge der einstigen reichen Kornkultur im Unterengadin.
Wie die Müller haben auch die Zimmerleute der Familie Florineth nicht versäumt, ihr überliefertes Wissen über das Handwerk und die Kornkultur an die nächsten Generationen weiterzugeben. Dank dessen ist Cilgia Florineth in der Lage, die Mühle zu betreiben und Jon Peider Florineth als Zimmermann sämtliche Reparaturen und Revisionen zu machen. Cilgia kennt die technischen Details, setzt Augen und Ohr ein um bei Unregelmässigkeiten und Funktionsstörungen sofort eingreifen zu können. Unverwechselbar sind für sie die Verarbeitungsabläufe, die Getreidesorten und die daraus entstehenden Erzeugnisse. Sie lässt die Ermahnungen und Worte Ihrer Vorfahren nicht verhallen und folgt ungezwungen seinen Worten „hier soll nur arbeiten, wer dies mit Herz und Liebe, in Ruhe und Langsamkeit tut, wer Ehrfurcht hat vor den Menschen die hier gelebt und gewirkt haben und die Frucht des Ackers nicht verhöhnt“.
Diese Überlieferung für die Betreibung, den Unterhalt und den Erhalt der Mühle ist von unschätzbarem Wert. Das Zurückgreifen-können auf dieses Wissen, auf Vergangenes, auf die ursprüngliche Lebensform des bäuerlichen Lebens in unserem alpinen Tal ist ein wesentlicher Teil des kulturhistorischen Denkmals.
Wer sich an diesem idyllisch gelegenen Ort einfinden, in die Vergangenheit eintauchen, das Getöse des Wassers und das rhythmische Knattern der Mühlwerke erleben möchte, ist herzlich eingeladen „ohne Eile hier zu verweilen“.
2014 schliesslich wurde durch Cilgia Florineth die Stiftung „Fundaziun Muglin da Ftan“ gegründet, deren Zweck es ist, die vom SHS erhaltene Mühle als regionales Baudenkmal und Zeitzeuge mit ihren ursprünglichen Betriebsanlagen zu erhalten, angemessen zu betreiben und der Öffentlichkeit weiterhin den Zugang zu gewährleisten (Fundaziun).